Flavio Eichmann
Projektskizze
Veröffentlicht am: 
10. Februar 2014

Am Ende des 18. Jahrhunderts erschütterten zahlreiche Aufstände von Sklaven, freien Farbigen, weißen Pflanzern und Kaufleuten die karibischen Kolonien Frankreichs. Im Schatten des großen Sklavenaufstandes von Saint-Domingue wurden auch die französischen Kolonien in den Kleinen Antillen, die îles du vent – Martinique, Guadeloupe und Ste.-Lucie – von den revolutionären Umwälzungen getroffen. Die vielschichtigen innergesellschaftlichen Konflikte innerhalb dieser Kolonien umfassten nicht nur divergierende Partikularinteressen lokaler Pflanzer und Kaufleute, sondern auch grundsätzliche Fragen, die sich in diesen auf Sklaverei beruhenden Plantagenökonomien durch die Französische Revolution ergaben: Welche Stellung sollten die Kolonien im französischen Imperium einnehmen? Welche sozialen Gruppen sollten in den Kolonialversammlungen repräsentiert werden? War eine auf Sklaverei beruhende Gesellschaft überhaupt mit den Prinzipien der Französischen Revolution vereinbar?

Die teils gewaltsame Austragung dieser Konflikte führte 1792 zu einem Sieg der Anhänger der Konterrevolution. Zwar gelang es den republikanischen Kräften kurz vor der Kriegserklärung an Großbritannien die Kontrolle über Martinique und Guadeloupe wiederzuerlangen, doch hatten zu diesem Zeitpunkt die Großgrundbesitzer der beiden Inseln der britischen Regierung bereits ihre Unterstützung für eine Eroberung der îles du vent durch britische Truppen zugesichert.

Damit unterminierte diese dominierende gesellschaftliche Klasse die Herrschaft der Agenten der Metropole, die für den Rest des Krieges an der Loyalität der Großgrundbesitzer zweifeln mussten, sowohl gegenüber der Republik wie auch dem Napoleonischen Kaiserreich. Die Durchsetzung des Abolitionsdekrets der französischen Nationalversammlung 1794 ging nicht zuletzt deshalb Hand in Hand mit der Vertreibung und Ermordung vieler Großgrundbesitzer, um ihre Macht zu brechen und ihre Plantagen an Günstlinge der Kolonialverwaltung zu verpachten. Die Abschaffung der Sklaverei war dabei keineswegs durch humanitäre Ziele geleitet, sondern diente primär der Erschließung der schwarzen Bevölkerung als Rekrutierungsbecken für die Armeen und Kaperschiffe der Republik im Kampf gegen Großbritannien und seine Verbündeten. Gleichzeitig wurde ein Zwangsarbeitsregime errichtet, das den Fortbestand der kolonialen Plantagenökonomie sicherstellen sollte. In der Folge etablierte sich in Guadeloupe eine Beuteökonomie, indem es die karibische See zu einem Schlachtfeld verwandelte und den Krieg auf die benachbarten Inseln trug. Damit einher ging eine Verselbständigung der von Kaperfahrern und Militärs dominierten Kolonialregierung Guadeloupes, deren Kontrolle der Metropole immer schwerer fiel.

Der zunehmende Drang nach Autonomie der neuen Eliten Guadeloupes, die Wiedereinführung der Sklaverei und die Rückkehr der émigrés in die Kolonien fielen zeitlich mit dem Frieden von Amiens zusammen. Die Wiedereinführung der Sklaverei und die Entmachtung der sezessionistischen Kolonialregierung Guadeloupes 1802 konnte gegen einen hohen Blutzoll durchgesetzt werden. Hingegen gestaltete sich die Reintegration der émigrés in die Kolonialgesellschaft und die Bindung der Kolonie an die Metropole während der Napoleonischen Kriege, ja selbst während Napoleons Herrschaft der Hundert Tage 1815, als permanente Herausforderung für die Abgesandten der französischen Regierung in den Kolonien.

Analytischer Zugriff der Studie

Vor dem Hintergrund des Weltkrieges zwischen Großbritannien und Frankreich agierten die lokalen Machthaber wegen der unklaren Loyalität lokaler Eliten in einer konstanten Krisensituation. Hinzu kamen die unzureichende Informationslage und die Eigeninteressen der Entscheidungsträger vor Ort, die das ihrige zur diesem Zustand der allgegenwärtigen Unsicherheit beitrugen. Es stellt sich daher die Frage, ob und wie diese men on the spot überhaupt Macht ausüben konnten? Weshalb gelang es der Kolonialregierung kaum, die lokalen Eliten zu kontrollieren? Zur Beantwortung dieser Fragen sollen neben Guadeloupe und Martinique auch Ste.-Lucie, St.-Vincent, Dominica und Grenada in die Analyse mit einbezogen werden.

Dies dient nicht nur einer breiteren Kontextualisierung der verschiedenen Herrschaftsstrukturen und der daraus resultierenden Herrschaftsstrategien, sondern auch der Offenlegung der vielfältigen Verflechtungen und gegenseitigen Abhängigkeiten innerhalb des Raumes der Kleinen Antillen, die sich gerade im Kontext des Weltkrieges zwischen Großbritannien und Frankreich besonders akzentuierten. Der Zugriff der Studie erfolgt deshalb über die Analyse der Herrschaftsstrukturen innerhalb der Kolonialgesellschaften in den îles du vent. Dieser Ansatz gestattet eine breitere Sicht auf das skizzierte Konfliktgemenge als jene, welche die bisherige Forschung mit ihrer ausschließlichen Konzentration auf die Abschaffung der Sklaverei eingenommen hat und erlaubt es, die bisher völlig vernachlässigte napoleonische Epoche mit ins Blickfeld zu nehmen. Die enge Verzahnung von imperialen Strukturen, militärischen Ereignissen, Formen von Zwangsarbeit und lokalen Herrschaftsverhältnissen kann somit in ihrer longue durée raumübergreifend analysiert werden. Damit sollen neuere Ansätze der Kolonial-, Militär- und Sozialgeschichte miteinander verbunden werden.

Die Dissertation entsteht an der Universität Bern und wird von Prof. Dr. Stig Förster betreut.