Stephan Theilig
Projektskizze
Veröffentlicht am: 
02. September 2013

Die heutigen Diskussionen über den Umgang mit Muslimen innerhalb der „deutschen Gesellschaft“ basieren allein auf der allgemein akzeptierten und in der Öffentlichkeit gängigen Annahme, dass Muslime erst mit den Arbeitsanwerbungen aus der Türkei in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in die Bundesrepublik gekommen seien. Dagegen nähert sich die vorliegende kulturwissenschaftliche Untersuchung erstmals auch interdisziplinär dem Thema muslimischer (Zwangs-)Migranten in Brandenburg-Preußen bereits im ausgehenden 17. sowie im 18. Jahrhundert und belegt damit eine weitaus längere Tradition.

Im Zentrum der Arbeit stehen besonders die kulturellen und sprachlichen Translations- wie auch die gesellschaftlichen Transformationsprozesse infolge der unterschiedlichen kulturellen Begegnungen zwischen „Preußen“ und „Muslimen“. Neben der Darstellung der damit zusammenhängenden inter- und intrakulturellen Kommunikation wird der Fokus speziell auf die Frage gerichtet, wie sich sowohl die Sicht- als auch die Handlungsweise gegenüber Menschen veränderte: Wie kam es dazu, dass sich das Feindbild des „Muslimen als Erbfeind der Christenheit“ hin zu einer Wahrnehmung des Muslimen als „geachteten Mitbürger“ wandeln konnte? Neben der Darstellung des sich wandelnden Alteritätsdiskurses werden zudem die gesellschaftlichen An- und Aufnahme- wie auch Ablehnungsprozesse aufgezeigt und diskutiert: Welche Probleme und Chancen ergaben sich aus dem anfänglichen „Aufeinanderprallen“ oder auch „Durchmischen“ unterschiedlicher kultureller Konzeptionen, welche Impulse führten infolge des Kontaktes und damit auch infolge von Kommunikation zu gesellschaftlichen und kulturellen Transformationen, d. h. Veränderungen?

In der Studie wird von zeitlich und kontextuell unterschiedlichen Migrationsprozessen ausgegangen, die sich zwischen dem ausgehenden 17. Jahrhundert und der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert ereigneten. Darüber hinaus muss festgehalten werden, dass es sich bei den „muslimisch-exotischen“ Migranten nicht um eine homogene Gruppe handelte. Vielmehr zeigt sich eine Multiethnizität von Menschen aus dem eigentlichen Osmanischen Reich, dem (süd) östlichen Europa, Asien sowie aus Afrika, die auf unterschiedlichen Wegen und Weisen nach Brandenburg-Preußen gelangten. Ihnen gemein war der, wenn auch teilweise nicht praktizierte, so ihnen doch aufgrund ihrer mutmaßlichen Herkunft unterstellte muslimische Glaube. Denn vereinfachend wurden im 17. und 18. Jahrhundert die unterschiedlichen geografischen, kulturellen wie auch sozialen Herkünfte, wie die der Lipka-Tataren, Krim-Tataren, dunkelhäutigen Asiaten, ethnischen Türken, Nordafrikaner, aber auch der muslimischen Slawen vom Balkan, unter frei austauschbaren, weil nicht näher definierten Begriffen und Konzepten wie „Ismaelit“, „Mohammedaner“, „Türke“, „Tatar“ oder „Mohr“ subsumiert.

Im ersten thematischen Kapitel der Arbeit wird zunächst das Schicksal sogenannter Beutetürken untersucht, die im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen dem Heiligen Römischen Reich und dem Osmanischen Reich durch brandenburgisch-preußische Truppen im späten 17. und beginnenden 18. Jahrhundert in Kriegsgefangenschaft gerieten und nach Brandenburg-Preußen verschleppt worden waren. Der völligen Verfügungsgewalt ihrer „Besitzer“ unterworfen, mussten sich diese nun in eine neue Gesellschaft einleben. Die (formal noch) Gefangenen erhielten teilweise umfangreichen Unterricht im christlichen Glauben, der deutschen Sprache wie auch anderen elementaren Grundkenntnissen ihrer neuen Lebenswelt. Ihre Lehrer waren dabei meist Pfarrer, Prediger oder spezielle „Instruktoren“. Von zentraler Bedeutung, und auch als rein formaler Höhepunkt dieses Integrationsprozesses, war dabei das Schwellen- und Initiationsritual der christlichen Taufe. Durch diese wurde das vorher „Fremde“ zum „Eigenen“ transformiert.

Anders verhielt es sich mit der bewussten Aufrechterhaltung einer Aura des Exotisch-„Türkisch“-Fremden oder auch der Adaption des Orientalischen, die dazu diente, im Kontext von Herrschaftsrepräsentationen und Militärritualen durch eine „Türkisierung“ oder „Orientalisierung“ eine verstärkte Außenwirkung zu erzielen. Es handelte sich hierbei um partielle kulturelle Transfers und Übersetzungen im Zuge von Moden, die gerade an den Beispielen der auffallend inszenierten Mohrenpfeifer und -tambouren sowie der brandenburgisch-preußischen Janitscharenmusik festgemacht werden kann. Erst durch die Einführung und den Einsatz von aus dem Orient stammenden Instrumenten, Rhythmen und adaptierten Melodien entstand die für den heutigen Hörer „typisch preußische-militärische“, orchestrale Marsch- und Kunstmusik. Diese stand der bis dahin tradierten kammermusikähnlichen Orchestrierung, vorwiegend mit Holzbläsern, einfachen Trommeln und Pfeifen, völlig entgegen.

Demgegenüber dienten zur gleichen Zeit, fast unbemerkt von der Öffentlichkeit, Muslime russischer Herkunft in der preußischen Garde der „Langen Kerls“. Begründet war dieser scheinbare Dualismus im Wandel des orientalen Alteritätsdiskurses des Abendlandes zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Waren anfangs noch die erwähnten Türken- und Mohrentaufen Ausdruck tradierter, religiös-apologetischer Ritualisierungen bzw. höfischer Prachtentfaltung, ebbte diese Mode besonders nach dem Frieden von Passarowitz im Jahre 1708 völlig ab. Statt der Türken wurden zunehmend Mohren in orientalischen Kostümierungen als Bedienstete eingesetzt; oder sie dienten als Musiker im Militär. Zunehmend verstärkte sich zudem die Übernahme exotisch-orientalischer Elemente in die säkulare Herrschaftsrepräsentation, der Musik und den militärischen Lebenswelten. So fanden sich einige ehemalige Hofmohren Friedrich I. als Mohrenpfeifer und -tamboure bei den „Langen Kerls“ wieder, die in gewöhnlichen Uniformen den Anfang einer Entwicklung hin zu einer preußischen „Janitscharenmusik“ bildeten. Der Soldatenkönig behielt ihren Turban als Unterscheidungsmerkmal zu den übrigen Soldaten bei. Die Mohren mussten zudem einen Silberreif (Sklavenring) um den Hals sowie einen Ohrring tragen, die sie der politischen Ikonographie folgend als persönliche Sklaven oder Leibeigene des Königs kennzeichneten. Eine eigentliche „türkische“ Garde bildete der „Soldatenkönig“ nicht, denn er pflegte ja bereits seine „Langen Kerls“. In dieser Garde dienten allerdings muslimische Soldaten, die, im Gegensatz zu vorherigen Zeiten, nicht konvertieren mussten, sondern ihren Glauben frei ausüben durften. Sie hatten aus ihren Kreisen einen Imam ernannt und erhielten in Potsdam 1739 sogar einen eigenen Gebetsraum.

Auch Friedrich II. ließ Muslime, hauptsächlich Tataren, als leichte Reiterei für seine Armee rekrutieren. Es entstanden multiethnische wie auch multireligiöse Einheiten, in denen der eigene Glaube keine Rolle mehr zu spielen schien. Doch gerade in dem ersten Aufeinandertreffen der unterschiedlichen kulturellen Lebenswelten wurde die Alterität deutlich, hier verstanden als „übersetzbare Andersheit“. Doch erst durch einen Zufall kam es für den König zu dem Moment der gewünschten Aufstellung einer muslimischen leichten Reiterei, als sächsische Deserteure – vorwiegend in Ost- und Südosteuropa geworbene Muslime, darunter Tataren, Kosaken, „Bosniaken“ sowie Walachen – aufgrund ausbleibender Bezahlung in brandenburgisch-preußische Dienste wechselten.

Die als „Bosniaken“ bezeichnete Einheit (vermutlich auf die Bezeichnung für muslimische Slawen zurückgehend) war zahlenmäßig zwar nie besonders groß, doch sorgte sie oftmals durch ihr „orientalisches Aussehen“ für Aufsehen. In Friedenszeiten fristeten sie zwar fast vergessen einen eher eintönigen Dienst in den weitläufigen wald- und seenreichen Grenzregionen Ostpreußens; in Kriegen allerdings überzeugten sie durch ihre Kampfweise als Ulanen. Zunehmend traten jedoch mehr deutsche Abenteurer, verarmte polnische Adlige sowie russische Deserteure den Bosniaken bei, so dass der muslimische Anteil stark sank und zum Ende des 18. Jahrhunderts fast verschwunden war. Allerdings wurden dem nunmehr Bosniaken-Regiment ein Tataren-Pulk bis zu deren beider Auflösung zur Seite gestellt. Die überwiegend darin dienenden Lipka-Tataren zogen nun mit ihren Familien in neue Garnisonen. Interessanterweise setzte schnell ein Assimilierungsprozess ein, der unter anderem an der Vornamensgebung der tatarischen Kinder abzulesen ist. Die tatarischen Neugeborenen trugen ab 1795 Vornamen wie „Friedrich“, „Adolph“ oder „Wilhelm“, gefolgt von ihrem tatarisch-polnischen Nachnamen. Der Eintritt dieses Tataren-Pulks in die brandenburgisch-preußische Armee stand auch im Zusammenhang mit einem gezielten Kolonisierungsvorhaben Friedrich Wilhelms II. Dieser beabsichtigte, in den preußisch-neubesetzten Gebieten Polens muslimische Tataren anzusiedeln, nachdem ihm von einem tatarischen Obristen namens Janusz Murza Baranowski ein diesbezügliches Angebot gemacht worden war. Bereits vor ihm hatte sich Friedrich II. oftmals mit solchen Peuplierungen versucht, scheiterte indes immer wieder an der fehlenden Nachhaltigkeit seiner Bemühungen. Für beide Monarchen war es jedoch von enormer Bedeutung, dass den Tataren ihre religiösen Freiheiten garantiert wurden, sie staatlicherseits sogar Hilfen zum Bau von Moscheen erhielten und einen Imam anstellen konnten, der auch für die Erziehung der Kinder zuständig sein sollte.

Die von Prof. Dr. Dr. h.c. Hartwig Kalverkämper betreute Dissertation wurde am 19. Februar 2013 an der Humboldt Universität zu Berlin erfolgreich verteidigt und erscheint im September 2013 im Frank&Timme Verlag Berlin.

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