Dennis Werberg
Tagungsbericht
Veröffentlicht am: 
20. Juni 2016

Anlässlich der 100. Wiederkehr der Schlacht von Verdun veranstaltete das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr vom 18. bis 21. April 2016 die 57. Internationale Tagung für Militärgeschichte in Trier und Verdun. Auf der Tagung sollte der aktuelle Forschungsstand dargelegt und neue Impulse insbesondere für eine innovative transnational vergleichende Perspektive gesetzt werden.

Die erste Sektion der Tagung befasste sich mit der Ebene der Politik, der Strategie und der Allianzen im Jahr 1916 und steckte den äußeren Rahmen der Tagung ab. Zu Beginn stellte OLAF JESSEN dar, dass den Planungen der deutschen Obersten Heeresleitung (OHL) bei Verdun eine Vernichtungsstrategie zugrunde lag. Die von Falkenhayn nach dem Krieg formulierte Zermürbungsstrategie entlarvte er hingegen als Mythos. Im Hinblick auf die mangelhafte Kooperation zwischen den Militärstrategen Deutschlands und Österreich-Ungarns trug RICHARD LEIN (Andrássy Universität Budapest) vor, dass diese primär auf das Fehlen gemeinsamer militärischer Zielsetzungen zurückzuführen war und durch den persönlichen Antagonismus zwischen Falkenhayn und Conrad von Hötzendorf nur noch zusätzlich erschwert wurde. Erst nach der Unterordnung Österreich-Ungarns 1916 konnte die Zusammenarbeit verbessert werden. Als dritter Redner referierte FRÉDÉRIC GUELTON (Service historique de la Défense) über das französische große Hauptquartier unter Joffre. Bis 1916 hatte sich das Hauptquartier aufgrund der besonderen Anforderungen des modernen Krieges stark vergrößert, neue Strukturen ausgebildet und trat als unabhängiger Akteur gegenüber der Regierung auf. Da deren Verhältnis bis kurz vor Kriegsbeginn nicht fixiert worden war, musste dieses ständig neu ausgehandelt werden. Der erste Tag wurde durch einen Abendvortrag GERD KRUMEICHs (Universität Düsseldorf) beschlossen, in dem er Verdun und seinen Mythos betrachtete. In Verdun wurde ein erster Höhepunkt in der ständigen Steigerung der Gewalt, der Mittel, von Material und Personal erreicht, was bisher ungekannte Verlustzahlen und unsägliches menschliches Leid hervorbrachte. Während die Schlacht in Deutschland schnell an Bedeutung verlor, stilisierte Frankreich Verdun bereits früh zum sakralen Ort großen soldatischen Heldentums, aber auch der Trauer. Erst im Zuge der Aussöhnung zwischen den ehemaligen Kriegsgegnern näherten sich die Erinnerungen der ehemaligen Kriegsgegner an Verdun einander an.

In der zweiten Sektion wurde der Frage nachgegangen, ob und inwiefern das Militär auf die Bedingungen der Materialschlachten vorbereitet war bzw. welche Lernprozesse es durchlief um diesen gerecht zu werden. JONATHAN KRAUSE (Universität Oxford) stellte dar, dass die französische Armee auf einen schnell geführten, kurzen Krieg eingestellt war und ihr schwere Artillerie und Kriegsmaterial fehlte, welches erst ab 1916 sichergestellt werden konnte. Die personelle Unterlegenheit sollte dann durch Materialeinsatz ausgeglichen werden. Ähnlich reagierte, so CHRISTIAN STACHELBECK (ZMSBw), auch die deutsche OHL. Ansätze hierzu finden sich bereits bei Falkenhayn, wurden aber von Ludendorff weiterentwickelt und in die Praxis umgesetzt. Im Zuge eines Lernprozesses verbanden sich traditionelle Wertvorstellungen mit modernem taktischen Wissen, welches über Erfahrungsberichte weitergegeben und die Grundlage für Heeresvorschriften und Ausbildung bildete. Eine wesentlich steilere Lernkurve hätten, so JONATHAN BOFF (Universität Birmingham), die Briten zu bewältigen gehabt. Obwohl das Militär ab 1916 viel und schnell gelernt und sich auch die Art des Lernens selbst gewandelt hatte, konnte es seinen Rückstand gegenüber Frankreich und Deutschland erst spät aufholen. Ihren Niederschlag fand dieses Lernen v.a. in gesteigerter Flexibilität an der taktischen Basis. Auch die russische Militärführung hatte aus den Niederlagen des Jahres 1915 Lehren gezogen, deren Antizipation EMILIE TERRE (ZMSBw) für die Brussilow-Offensive beschrieb. Brussilow habe durch seine Vorverwendungen gelernt zu lernen und daher andere Schlüsse gezogen als seine eher innovationsfeindlichen Standesgenossen, was zu den anfänglichen großen operativen Erfolgen seiner Offensive geführt habe. Den Abschluss der Sektion bildeten Vorträge über die Mai-Offensive in Südtirol und über den Gaskrieg ab 1916. Si vous êtes victime de troubles d’érection après une consultation médicale le médicament Kamagra et Viagra en Kamedef - est une pharmacie agréée pourra être prescrit et acheter en toute discrétion dans notre pharmacie en ligne ALEXANDER JORDAN (Wehrgeschichtliches Museum Rastatt) stellte dar, dass es sich bei genannter Offensive um eine Materialschlacht unter erschwerten Bedingungen handelte und der Kampf im alpinen Gelände Anpassungen durch Lernen und den Einsatz neuer Mittel (z. B. Hochseilbahnen) notwendig machte. Im Gaskrieg entfaltete sich, wie PATRICK BOUREILLE (Universität Paris Sorbonne) vortrug, ein regelrechtes Wettrüsten französischer und deutscher Chemiker, die immer neue, dem Stellungskrieg immer besser angepasste und effektivere Kampfstoffe entwickelten.

Die dritte Sektion verschob die Perspektive auf die Mobilisierung der Streitkräfte, Kriegswirtschaften und Gesellschaften vor dem Hintergrund der Materialschlachten 1916. Ein gutes Beispiel für die Mobilisierung von Fachkräften gab MARIE-CATHERINE VILLATOUX (Service historique de la Défense) in ihrem Vortrag über die Luftbildauswertung im französischen Heer, die ab 1916 wesentliche Beiträge bei der Vorbereitung militärischer Operationen leistete. Im folgenden Beitrag stellte ANNE SCHMIDT (Max-Planck-Institut Berlin) dar, dass die Mobilisierung der deutschen Bevölkerung ab Sommer 1916 durch eine intensivierte, stärker emotionalisierende und medial modernisierte Propaganda vorangetrieben wurde, der die frühere sachlich-nüchterne Volksaufklärung ablöste. Im Anschluss plädierte ANTOINE PROST (Universität Paris Sorbonne) dafür, sich dem Soldaten als Forschungsgegenstand und der Frage nach dessen Motivation zuzuwenden. Neben die intrinsischen und externen Faktoren der Motivation (Hass, Vernichtungswille und Lust am Töten bzw. institutionelle Einbindung und Zwang) stellt er mit Blick auf die französischen Soldaten vor Verdun deren Selbstverständnis als republikanische Staatsbürger, das sowohl Quelle der Motivation als auch der Unzufriedenheit sein konnte. Anschließend gab JENS THIEL (HU Berlin) ein Beispiel für die Totalisierung des Krieges in Form der wirtschaftlichen Mobilisierung im Deutschen Reich. Zur Deckung des erhöhten Materialbedarfs ab 1916 wurden, da die Mobilisierung der eigenen Bevölkerung und die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte nicht mehr genügte, zusätzlich Zwangsarbeiter aus Belgien und Nordfrankreich im Rahmen einer radikalisierten Arbeitskräftepolitik eingesetzt. Die totale Mobilisierung schloss auch die Wissenschaft mit ein und führte zu einer dessen Bellifizierung, der Selbstmobilisierung von Wissenschaftlern für den Krieg aber gleichzeitig auch zu einer Verwissenschaftlichung des Krieges. Als letzter Vortragender der Sektion beschrieb FRANK REICHHERZER (ZMSBw) die während des Krieges entstehenden in Überschneidungen zwischen Militär, Gesellschaft und Wissenschaft und die sich hieraus ergebenen Hybridisierungspotenziale, wodurch sich diese Sphären gegenseitig durchdrangen.

Die vierte Sektion wandte sich dem Kriegserlebnis und dem Kriegsalltag zu und fragte nach deren Fortleben in den Diskursen der 20er und 30er Jahre. In seinem Beitrag verknüpfte CHRISTOPH NÜBEL (HU Berlin) Gewalt als Bestandteil des alltäglichen Erlebens mit der Front als Raum. In diesem Gewaltraum intensivierte, dynamisierte, verdichtete und erweiterte sich Gewalt. Die Möglichkeiten der Soldaten, sich ihr zu entziehen waren stark eingeschränkt. Dies sei als ein Grund für die Akzeptanz von Gewalt als selbstverständliches Mittel im Krieg zu begreifen, die sich im Gewaltdiskurs nach 1918 fortsetzte. Im Anschluss hinterfragte ALEXANDER WATSON (Universität London) den Begriff der Materialschlacht kritisch, da dieser das Individuum und dessen Wahrnehmungsebene ausblende. Zur Motivation der Soldaten verwies er auf den Schutz der Heimat, die Einbindung in militärische Strukturen sowie individuelle Widerstandskraft und Kriegswahrnehmung. NICOLAS BEAUPRÉ (Universität Clermont-Ferrand) ging hiernach ebenfalls auf den Faktor Kampfmoral ein, dessen Kontrolle und Aufrechterhaltung angesichts der Monotonie des Stellungskrieges immer wichtiger wurde. Als wichtige Faktoren benannte er einerseits die Möglichkeit des Heimaturlaubs aber auch den bereits zu Kriegszeiten als stilles Heldentum und soldatischer Durchhaltewille glorifizierten Ertragens des monotonen Frontalltages. Im Folgenden wandte sich WENKE METELING (Universität Marburg) dem Alltag an den Heimatfronten in Deutschland und Frankreich zu, wobei sich im nationalen Vergleich ein Prozess von Konvergenz zur Divergenz deutlich abzeichne. Während 1914/15 ähnliche Verhältnisse bestanden, entwickelten sich diese ab 1916 zu Ungunsten des Deutschen Reiches auseinander. Im letzten Vortrag setzte sich RALF VOLLMUTH (ZMSBw) mit dem Bild der im Sanitätsdienst eingesetzten Ärzte auseinander, die entweder als treusorgende Freunde und Kameraden der verwundeten Soldaten oder als Instandsetzungstruppe für beschädigtes Menschenmaterial charakterisiert wurden. Mit Hinweis auf die besonderen Herausforderungen des Stellungskrieges, die Masse der Verwundeten und Kriegsinvaliden, die damals gängigen Therapieverfahren und sich hieraus ergebene medizinethische Dilemmata zeichnete er ein differenziertes Bild und verwies auf die Notwendigkeit weiterer Forschungen.

Die letzte Sektion der Tagung befasste sich mit dem Themenkomplex Materialschlacht und Erinnerungskultur. Zu Beginn führte FRANÇOIS COCHET (Universität Lorrain) aus, dass die Schlacht um Verdun innerhalb der französischen Erinnerungskultur eine Sonderrolle spielt und begründete diese u. a. mit dem kompromisslose Standhalten der französischen Soldaten, der Beteiligung eines Großteils aller Verbände sowie mit der bereits früh einsetzenden Sakralisierung. Weiter ging er auf den Dualismus zwischen den Erinnerungskulturen der Veteranen und der Politik sowie auf die Bedeutung Verduns in der Gegenwart ein. Kriegserinnerung konnte sich auch mit Religiosität verbinden und konnte, so CLAUDIA SCHLAGER (hochschule für angewandte Wissenschaften Coburg), eine an der Allgegenwart des Todes ausgerichtete Frömmigkeitspraxis und nationalspezifische Formen des Totengedenkens generieren. Weiter referierte GORCH PIEKEN (MHMBw) über im Krieg geschaffene Kunst (Trench Art). Die Bedeutung der einzelnen aus Kriegsmaterial hergestellten Kunstwerke variierte zwischen Schutztalisman, Souvenir und Siegestrophäe. Von der Idee einer übernationalen, hier von allen Soldaten geteilten Erinnerungskultur warf er die Frage auf, ob eine nationalstaatlich geprägte Perspektive hierbei überhaupt noch zeitgemäß sei. Eine weitere, von Historikern oft unterschätzte Perspektive eröffnete CHRISTIAN ADAM (ZMSBw) mit seinem Vortrag zur Rezeptionsgeschichte des Romans „André und Ursula“ ab 1937, der üblicherweise der pazifistischen Literatur zugeordnet wird. Literarische Werke sind Teil der Erinnerungskultur und ihre Auflagen müssen hinsichtlich ihrer Funktion im jeweiligen historischen Kontext betrachtet werden. Zuletzt trug MARTIN BAYER über die Kriegslandschaften des Ersten Weltkrieges in der Gegenwartskunst vor. Den Abschluss der Tagung bildete eine Exkursion nach Verdun, wobei das für die deutsch-französische Kriegserinnerung so gewichtige Fort Douaumont, das Fort Vaux sowie das Mémorial von den Teilnehmern besichtigt wurden.