Teil VIII der Interviewreihe: 25 Jahre Arbeitskreis Militärgeschichte e.V. (1995-2020)
Daniel R. Bonenkamp/Takuma Melber
Interview
Veröffentlicht am: 
15. März 2021

Lieber Herr Prof. Neitzel, Seit 2015 sind Sie Inhaber des Lehrstuhls für Militärgeschichte/Kulturgeschichte der Gewalt am Historischen Institut der Universität Potsdam. Jahrelang waren Sie im Vorstand des Arbeitskreis Militärgeschichte e.V. (AKM) tätig, zu dessen Gründungsmitgliedern Sie gehören. Erinnern wir uns gemeinsam an die Gründung des AKM zurück. Wie haben Sie diese Mitte der 1990er Jahre erlebt, zu dieser Zeit hatten Sie ja noch keine Militärgeschichtsprofessur inne, Ihre persönliche Situation war damals noch eine gänzlich andere.

Neitzel: Ich hatte gerade mit einer militärgeschichtlichen Studie zum Einsatz der deutschen Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg an der Universität Mainz promoviert und es gab neben dem Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) eigentlich keinen Ort für den wissenschaftlichen Austausch über Militärgeschichte. Da war die Gründung des AKM schon ein ganz wichtiger Schritt und angesichts des großen Zuspruchs auch ein weithin sichtbares Zeichen, dass sich die Universitäten nun auch vermehrt der Thematik annehmen. Ich für meinen Teil habe mich freilich nach meiner Dissertation erst einmal mit ganz anderen Fragen befasst – und schrieb meine Habilitation über ein ideengeschichtliches Thema, die Weltreichslehre im Zeitalter des Imperialismus.

 

Warum wurde der Arbeitskreis Militärgeschichte 1995 – 50 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs – gegründet und nicht schon früher? War vorher in Deutschland die Zeit für einen AKM noch nicht reif?

Neitzel: Ich glaube schon, dass dies mit weltpolitischen Entwicklungen zu tun hatte, die natürlich auch auf die Wissenschaft ausstrahlten. Da war vor allem das Ende des Kalten Krieges, aber auch neue Konflikte wie der Bürgerkrieg in Jugoslawien, die zu einem neuen Nachdenken über das Militär und dessen Rolle in der Geschichte herausforderten. Und dann waren es auch Zufälle, dass sich mit Wilhelm Deist, Gerd Krumeich, Stig Förster, Bernd Greiner, Bernd Wegner und anderen ein Netzwerk von Professoren zusammenfand, die persönlich freundschaftlich verbunden waren und den Verein auch institutionell stützten.

 

Was waren Beweggründe für Sie, sich ab dem Jahr 2003 bis 2015 im Vorstand des AKM zu engagieren?

Neitzel: Mich ließ auch nach der Habilitation die Militärgeschichte nicht recht los und der AKM war für mich der ideale Ort, um auf Tagungen und Workshops mit Kolleginnen und Kollegen ins Gespräch zu kommen. Es ging aber auch darum, eine Subdisziplin dauerhaft im Fach zu verankern. Die Mühen schienen mir aller Ehren wert und der AKM war für all jene, die sich mit Militärgeschichte befassten, eine wichtige Klammer.

 

Welche Ereignisse, Errungenschaften und Entwicklungen aus Ihrer Zeit im AKM-Vorstand halten Sie für besonders erwähnenswert?

Neitzel: Erstens: Die regelmäßig stattfindenden Jahrestagungen, die sich in denkbar breiter Form dem Thema Militär und Gesellschaft von der Antike bis heute angenommen haben und alle auch in sehr ansprechenden Sammelbänden veröffentlicht wurden (Danke, Michael Werner vom Schöningh Verlag für die exzellente Zusammenarbeit!).

Zweitens: Die Professionalisierung des Newsletters bis hin zum jetzigen Portal Militärgeschichte.

Was Ereignisse anbelangt, ist mir die Jahrestagung 1998 „Was ist Militärgeschichte“ in Bochum noch besonders in Erinnerung – wahrscheinlich auch, weil hier ganz grundsätzlich über das Thema nachgedacht wurde. Stig Försters kraftvolles Plädoyer, das wir das doch alles machen, damit es keine Kriege mehr gebe, ist mir noch lebhaft in Erinnerung. Und auch Gerd Krumeichs Vortrag gegen die politische Geschichtsschreibung von Wolfram Wette. Und dann natürlich Bernd Wegner, der sich für die Operationsgeschichte eingesetzt hat.

 

Gab es in dieser Zeit auch Rückschläge, Misserfolge oder nicht erreichte Ziele?

Neitzel: Der größte Rückschlag war sicher, dass zu wenigen aus dem Kreis des AKM der Sprung auf einen Lehrstuhl an einer Universität in Deutschland, Österreich oder der Schweiz gelungen ist. 1995 bis 2010 war sicher eine Art „happy time“ der Militärgeschichte. Fast alle der Professuren, die das Netzwerk einst trugen, sind nun mit Kolleginnen oder Kollegen nachbesetzt worden, die mit der Militärgeschichte nicht mehr so viel im Sinn haben. Dies ist natürlich vollkommen legitim – es gibt ja viele interessante Bereiche der Geschichtswissenschaft – aber für den AKM schade. Und viele hoffnungsvolle Karrieren endeten nicht da, wo sie hätten enden sollen.

 

Mit Sicherheit erinnern Sie sich an besondere AKM-Jahrestagungen, Exkursionen oder anderweitige Zusammenkünfte zurück. Welche wissenschaftlichen „Highlight-Momente“ des AKM erinnern Sie besonders gerne?

Neitzel: Hinsichtlich der Exkursionen muss ich natürlich an die an den Isonzo 2007 denken, als wir in die slowenische Bergwelt eingetaucht sind – und natürlich 2011 die Fahrt in die Normandie. Über die Tagung „Was ist Militärgeschichte“ 1998 habe ich schon gesprochen. Ausgesprochen innovativ fand ich auch die Tagung 2015 in Chemnitz über Krieg und organisierte Gewalt im Computerspiel. Hier gab es tolle Diskussionen über ein ausgesprochen spannendes Thema!

 

Gibt es auch einen eher persönlich konnotierten, anekdotenhaften Moment, der Ihnen sofort in den Sinn kommt, wenn Sie an den AKM denken?

Neitzel: Da muss ich nicht lange nachdenken. An die Jahrestagung 2003 in Reinbek bei Hamburg erinnere ich mich weniger wegen ihres zweifellos hohen wissenschaftlichen Gehalts, sondern, weil ich dort meine spätere Frau Gundula Bavendamm kennenlernte. 2006 haben wir dann just an diesem Ort – im Schloss in Reinbek – geheiratet.

 

Im Jahr 2015 haben Sie sich aus dem Vorstand des AKM zurückgezogen. Was waren eigentlich die Gründe dafür?

Neitzel: 2015 bin ich von der London School of Economics and Political Science (LSE) an die Universität Potsdam gewechselt und mir war bewusst, dass ich dort außerordentlich stark eingebunden sein werde. Es ging um die Neuausrichtung des Lehrstuhls, die Etablierung zweier neuer Studiengänge, etliche Verwaltungsaufgaben innerhalb der Universität. Zudem war es schlicht an der Zeit, nach 12 Jahren im Vorstand den Platz für einen Nachfolger freizumachen.

 

Haben sich mit Ihrem Rückzug aus der AKM-Vorstandsarbeit und Ihrem Amtsantritt der Militärgeschichtsprofessur in Potsdam Ihr Verhältnis zum Arbeitskreis, aber auch der AKM selbst seit dieser Zeit verändert?

Neitzel: Ich bin dem AKM nach wie vor eng verbunden. 2016 fand die Jahrestagung ja auch bei uns an der Uni Potsdam statt. Mit Martin Clauss bin ich seit unserer gemeinsamen Zeit an der Uni Saarbrücken 2010 befreundet und auch die anderen Vorstandsmitglieder kenne ich – mit Ausnahme von Ulrike Ludwig – seit vielen Jahren. Ob sich der AKM seitdem verändert hat, ist eine gute Frage. Für die Vorstandsarbeit war sicher der Rückzug von Stig Förster die eigentliche Zäsur. Aber der AKM besteht ja nicht nur aus dem Vorstand. In gewisser Weise muss ein solcher Verein immer wieder neu gegründet werden, von Mitgliedern die neu dazukommen, während andere ausscheiden oder nicht mehr aktiv sind. Allerdings glaube ich nicht, dass der AKM in den letzten fünf Jahren ein gänzlich anderer geworden ist. Aber: das können die Mitglieder sicher besser beurteilen als ich.

 

Wie hat sich im letzten Vierteljahrhundert das „Standing“ der Militärgeschichte in Deutschland Ihrer Meinung nach entwickelt – und welchen Beitrag hat der AKM zu dieser Entwicklung geleistet?

Neitzel: Militärgeschichte zu betreiben ist heute sicher viel selbstverständlicher, dazu hat der AKM einen wichtigen Beitrag geleistet. Anders als in den frühen 1990er-Jahren ist es heute an vielen deutschen Universitäten möglich, mit einer militärhistorischen Studie zu promovieren. Dies scheint mir weithin akzeptiert zu sein. Aber man sollte sich auch nicht zu sehr auf die Schultern klopfen: In der universitären Forschung des 19. und 20. Jahrhunderts spielt die Militärgeschichte eine sehr untergeordnete Rolle. Die Bezeichnung „Militärhistoriker“ werden nach wie vor die allermeisten Kolleginnen und Kollegen, wahrscheinlich selbst im AKM, vermeiden. Insbesondere die Zeitgeschichte zeichnet sich durch eine Abstinenz des Forschungsgegenstandes Militär aus. Ich nehme im Vergleich dazu die Situation in der Frühen Neuzeit als deutlich besser wahr.

 

Welchen Aufgaben und Herausforderungen wird sich der AKM in den nächsten 25 Jahren stellen müssen? Was sind erstrebenswerte Ziele für den AKM?

Neitzel: Dies ergibt sich aus dem oben gesagten. Es wäre schön, wenn die Militärgeschichte in ihrer ganzen methodischen Breite und für alle Epochen an deutschen Universitäten (stärker) präsent wäre. Sie kann immer nur ein Teil des großen Ganzen sein, das ist klar. Aber es wäre schön, wenn wir in den kommenden 25 Jahren an die „happy time“ der Jahre 1995 bis 2010 anschließen könnten.

 

Abschließend bitten wir Sie darum, ein kurzes Fazit anlässlich 25 Jahre AKM zu ziehen.

Neitzel: Da kann man eigentlich nur sagen: „Well done, AKM“, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!

 

Zur Übersicht über die Interviewreihe "25 Jahre Arbeitskreis Militärgeschichte e.V. (1995-2020)" (Link).